Fahrräder sind Mangelware. Wer heute ein Fahrrad kaufen will, muss oft mit sehr langen Lieferzeiten rechnen. Warum ist das so? Inwieweit hat die Coronapandemie einen Einfluss auf Lieferengpässe, Nachfrageüberschüsse und Preiserhöhungen, und wann entspannt sich die Lage?
März 2020. Die Coronapandemie bricht über die Welt und Deutschland herein. Wir befinden uns mitten im ersten Lockdown, der uns alle völlig unvorbereitet und unerwartet trifft. Eine Pandemie, eine Seuche, die den gesamten Erdkreis betrifft – so etwas gab es vorher nicht. Plötzlich ist alles anders.
Kennzeichnend für diese erste Phase der Coronazeit ist für mich vor allem Folgendes: Leere Regale im Supermarkt. Wo sonst Überfluss herrschte, traf man jetzt plötzlich auf einen Hauch von Nichts. Vor allem Klopapier und Nudeln scheinen überlebenswichtig für überraschend viele Menschen zu sein, wenn man sich anschaut, wie viele Packungen auf einmal Zuhause gehortet wurden[1]. Heute, fast eineinhalb Jahre später, ist es so, als hätten die fleißigen Hamster das richtige Gespür dafür gehabt, wie sich das Coronavirus auf globale Lieferketten und somit auch auf den Endkonsumenten auswirken würde. Allerdings bestand weder bei Klopapier noch bei Nudeln jemals wirklich die Gefahr, die Nachfrage nicht bedienen zu können. Selbst jetzt sind beide Produkte en masse vorhanden.
Ganz anders sieht es in der Fahrradbranche aus. Seit Monaten ist das Angebot knapp.
Warum ist es auf einmal schier unmöglich geworden, in einen Fahrradladen zu gehen, sich ein Fahrrad auszusuchen und es am selben Tag mit nach Hause zu nehmen? Dieser Frage werden wir heute auf den Grund gehen.
Am Anfang der Kette: die Produktionsstätte
Alles beginnt in Asien. Einige Komponentenhersteller, wie zum Beispiel Shimano, mussten die Auslastung ihrer Werke in Malaysia auf 60% der eigentlichen Kapazität drosseln und kürzlich sogar aufgrund der sich zuspitzenden Coronalage in dem asiatischen Land vollständig schließen[2]. Da diese Fabrik zudem eine Schlüsselrolle als Zulieferer für die Fertigung in Singapur spielt, betrifft diese Schließung und der damit einhergehende Ausfall der Produktion auch diesen Standort. Einmal mehr wird deutlich, welche weitreichenden Folgen ein Produktionsstopp aufgrund der Coronakrise für die weltweiten Lieferketten – nicht nur, aber auch – innerhalb der Fahrradbranche hat.
Neben Malaysia wurde auch Taiwan hart getroffen: Es bestehen weiterhin die zweitstrengsten Maßnahmen, zu denen unter anderem strenge Distanzvorgaben gehören, die die Produktion in bestimmten Fabriken, wie dem größten Werk von Sram in Taiwan, mindern.
Die Suezkanal-Blockade: der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt
Ein Unglück kommt selten allein, sagt man. Und auch hier kam zu den geschlossenen Fabriken noch eine massive Störung der Seefracht hinzu: Der Suezkanal, eine der wichtigsten Seestraßen der Welt, die das Mittelmeer über die Landenge von Sues mit dem Roten Meer verbindet und so der Seeschifffahrt zwischen Nordatlantik und Indischem Ozean den Weg um Afrika erspart, war Ende März 2021 eine Woche lang vom Containerschiff „Ever Given“ blockiert.
Neben Schäden in Millionenhöhe für Ägypten, das pro Tag ca. zwölf Millionen Dollar mit diesem Kanal verdient[3] und nun den Schiffseigner auf Schadensersatz verklagt, sind auch die Schäden für die globale Wirtschaft enorm. Denn nicht nur die über 20.000 Standardcontainer auf der „Ever Given“ – Produkte im Wert von einer Milliarde Dollar –, sondern auch die Waren der 400 Schiffe, die sich sowohl vor als auch hinter dem Koloss stauten, konnten nicht ausgeliefert werden. Unter ihnen waren auch einige dringend benötigte Fahrradkomponenten, die die Lieferengpässe aufgrund der geschlossenen Werke noch erhöhten.
Das Problem ist nämlich, dass ein Fahrrad nicht verkauft werden kann, sobald auch nur ein einziges Teil am Rad fehlt.
Egal wie klein das Teil ist oder wie unbedeutend es wirken mag – und diese kleinen Teile kommen aus Asien, über den Suezkanal. Es stapeln sich also fast fertige Fahrräder in den Lagern einiger Händler, die nur auf den letzten Schliff warten. Auch Wochen nach der Blockade sorgte dieser Stau für Verspätungen in der globalen Schifffahrt sowie zu Problemen durch das hohe Containeraufkommen, da zuerst kein Schiff und dann plötzlich alle auf einmal versorgt werden mussten[3]. Die Frachtkosten per Schiff sind um das zwei- bis fünfzehnfache gestiegen, mancherorts gehen zudem die Container aus.
Und zum krönenden Abschluss hagelt es Probleme aus der Luft: Der fast vollständig zum Erliegen gekommene Flugverkehr letztes Jahr, der sich immer noch nicht komplett erholt hat, stellt ein zusätzliches Problem für die Fahrradbranche dar. Denn was viele nicht wissen: Im Frachtraum vieler Passagierflugzeuge befindet sich Luftfracht!
Nachfrageüberschuss verstärkt das Problem
Soviel also zur Angebotsseite: Händler haben mit Lieferengpässen zu kämpfen und müssen teils monatelang auf einzelne Teile warten, die sie dann nur zu einem Aufpreis überhaupt erhalten können. Hier greifen die Gesetze der Marktwirtschaft:
Bei einigen Ersatzteilen lag der Preis 2020 schon mehr als 15% über dem von 2019[4]. Zusätzlich wollen auf einmal alle Fahrrad fahren; es kommt zu einem Nachfrageüberschuss. Die Händler geben also nicht nur die Preisdifferenz weiter, die sie aufgrund der Lieferengpässe an ihre Lieferanten zahlen müssen, sondern können es sich erlauben, die Preise grundsätzlich zu erhöhen. Selbst Leute, die an Fahrrädern bis dato gar nicht interessiert waren, fachsimpeln jetzt über die beste Schaltung, den leichtesten Rahmen oder haben zumindest schon klamottentechnisch zugeschlagen.
Aber warum ist Fahrradfahren plötzlich so beliebt? Die Gründe dafür sind vielfältig: Steigendes Umweltbewusstsein; der Wunsch, mehr Aktivität in den Alltag zu integrieren; Geld zu sparen oder vielleicht auch einfach endlich mal wacher in der Arbeit zu erscheinen. Hinzu kommt, dass in den letzten Jahren ein ganz bestimmtes Genre den Fahrrad-Boom erst entstehen lassen hat, auf das der Großteil des Umsatzanstieges zurückzuführen ist. Die Rede ist natürlich von E-Bikes.
Coronakrise und E-Bike-Boom
Mittlerweile ist mehr als jedes zehnte Fahrrad ein E-Bike, wohingegen noch 2015 nur 4% aller Fahrräder einen Motor hatten[5]. E-Bikes bieten auch Menschen, die sich vorher eher nicht für das Fahrrad entschieden hätten, eine Möglichkeit, öfter mal das Auto stehen zu lassen und stattdessen auf dem Drahtesel zur Arbeit, zu Freunden und Freundinnen oder zum Einkaufen zu fahren. Es ist genauso für Leute, die zwar in ihrer Freizeit schon länger gerne Fahrrad fahren, aber deren Arbeitsweg aber so weit oder hügelig ist, dass Schwitzen mit dem herkömmlichen Rad nicht zu vermeiden wäre. Mit Satteltaschen und guter Regenkleidung ausgerüstet ist das E-Bike bei Wind und Wetter eine echte Alternative und dank E-Lastenräder gibt es sogar für manche Familien keine Notwendigkeit für ein Auto mehr.
Nicht nur auf der Angebotsseite sorgt Corona für höhere Preise, sondern auch hier: Die Corona Pandemie hat neben geschlossenen Fabriken in Asien auch hierzulande für Lockdowns und damit für geschlossene Läden gesorgt. Teure Urlaube in die Ferne waren ebenso wenig möglich wie Restaurantbesuche oder andere Freizeitaktivitäten, weshalb die Sparquote in Deutschland so hoch wie nie zuvor in den vergangenen Jahren gewesen ist: 16,6% des verfügbaren Einkommens wurde 2020 gespart[6]. Mit diesem finanziellen Polster im Rücken, der Angst vor Infektionen im ÖPNV, wenig anderer Sportmöglichkeiten und dem Wunsch, gesund zu bleiben und etwas Gutes für seinen Körper und seine Gesundheit zu tun, haben sich viele für den Kauf eines vergleichsweise teuren E-Bikes oder Fahrrads entschieden.
Fahrradkomponenten bleiben zu Coronazeiten Mangelware
Warum muss ich jetzt so lange auf mein Fahrrad warten? Zusammenfassend lassen sich drei Punkte festhalten:
- Es kommt aufgrund von Corona zu Fabrikschließungen in Asien, wo viele Komponenten hergestellt werden, und dies behindert die Fertigstellung der Fahrräder.
- Die Lieferungsengpässe wurden durch die Suezkanal-Blockade und den Ausfall einiger Passagierflugzeuge noch verstärkt.
- Die Coronakrise hat nicht nur die Angebotsseite stark belastet, sondern gleichzeitig dazu geführt, dass deutlich mehr Leute Fahrradfahren wollen als zuvor.
Michael Wild von Shimano erklärt das so: „Schon in den Jahren vor 2020 hat sich das Radfahren positiv entwickelt und die gesamte Industrie war auf ein gewisses Wachstum eingestellt und vorbereitet. Was indes niemand erwarten konnte, ist, dass dieses im Zuge der Corona-Pandemie buchstäblich und weltweit explodiert. […] Shimano beispielsweise hatte im zweiten Halbjahr 2020 einen höheren Output als je zuvor innerhalb von sechs Monaten und wird die Produktionskapazitäten 2021 noch einmal um das eineinhalbfache im Vergleich zu 2020 steigern. Dennoch blieb und bleibt das Angebot hinter der exorbitanten Nachfrage zurück, die auch 2021 im Fahrradmarkt herrscht“[7].
Problematisch sehen die Händler eben genau die Tatsache, dass oftmals nur eine Komponente fehlt, wie beispielsweise die Sattelstütze, die ausreicht, dass Räder nicht fertig montiert werden können. Insbesondere Verschleißteile wie Ketten, Ritzel oder Bremsscheiben seien kaum noch zu bekommen[7].
Verzögerungen von sechs Monaten sind an der Tagesordnung und bei besonders stark nachgefragten Modellen kann es auch locker 2023 werden.
Wann sich die Lage wieder entspannen wird, ist noch nicht abzusehen. Die großen Hersteller wie Canyon oder Diamant sind sich einig, dass es trotz sehr guter Vorbereitung ihrerseits frühestens im zweiten Halbjahr 2022 Entlastung geben sollte. Die Rohmaterialversorgung sowohl in Asien als auch in Europa bleibt sehr angespannt, mit einem Markt, der so viel mehr als in den Vorjahren benötigt und das in sehr kurzer Zeit. Um den Bogen zum Anfang der Coronapandemie zu spannen: Thomas Eichentopf von Diamant bezeichnet Fahrräder als das neue Klopapier[7].
Abwarten oder Ausweichen
Auch wenn das vermutlich nur ein kleiner Trost ist, wisst ihr jetzt zumindest, warum es zu diesen immensen Lieferverzögerungen kommt, könnt den E-Bike-Boom besser nachvollziehen und habt hoffentlich ein bisschen mehr Verständnis für den Fahrradhändler eures Vertrauens.
Vielleicht wartet ihr gerne zwei Jahre auf ein neues Fahrrad, jetzt da ihr die Gesamtsituation besser versteht. Vielleicht braucht ihr aber auch dringend ein Fahrrad und habt euch etwas mehr Lösungsorientierung von diesem Artikel erhofft. Dann gibt es immer noch den Gebrauchtradmarkt. Obwohl auch hier ein Rekord den nächsten jagt und die Nachfrage unersättlich scheint, hat man hier noch die Chance auf ein Fahrrad in gutem Zustand. Vor allem für diejenigen, die durch die Coronakrise erst zum Fahrradfahren gekommen sind oder vorrangig etwas Gutes für die Umwelt tun möchten, kann es sinnvoll sein, sich im Gebrauchtradmarkt umzuschauen.
Irgendwann wird es wieder genug Räder für alle geben. Das Klopapier reicht wider Erwarten ja auch 😉.
Autorin
Rebecca Hertlein
Produkt Analystin
Quellen:
[1] https://www.tagesschau.de/inland/hamsterkaeufe-corona-101.html
[2] https://www.velobiz.de/situation-in-fernost-bleibt-weiterhin-angespannt-veloQXJ0aWNsZS8yNTI4NAbiz
[3] https://www.wiwo.de/technologie/wirtschaft-von-oben/wirtschaft-von-oben-108-suezkanal-nach-ueber-100-tagen-darf-die-ever-given-weiterfahren/27222672.html
[4] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/fahrrad-e-bike-boom-101.html
[6] https://www.wiwo.de/finanzen/geldanlage/nebeneffekt-des-lockdowns-wegen-corona-sparen-die-deutschen-noch-mehr/26836712.html
[7] https://www.radfahren.de/service/lieferengpaesse-in-corona-pandemie/