Die Female Mountainbike Freeride Szene blüht gerade auf und zeigt sich von einer absolut genialen Seite. Das Niveau ist höher denn je. Auf internationalen Events und Contests zeigen die Ladies, was sie draufhaben und sichern sich ihren Platz in der Community. Ist das einfach der ganz normale Lauf der Dinge oder geht dem eine lange und hürdenreiche Pionier*innenarbeit voraus? Ein kurzer Blick in die Geschichte des Fahrradfahrens erweist sich als aufschlussreich.

Die Mountainbike Szene generell und vor allem der Bereich Freeride Slopestyle wird seit einiger Zeit von Female Power ordentlich aufgemischt. Auf sagenumwobenen, weltberühmten Events wie der Red Bull Formation, den Audi Nines oder dem Darkfest, um nur ein paar Veranstaltungen zu nennen, zeigen die Freeride Females, was sie draufhaben und gehen komplett durch die Decke.

Das Niveau der Female Freeride Community hat definitiv ein neues Level erreicht – anders kann man es nicht sagen.

Mountainbike Trick in den Bergen

Female Freestyle Power

2021 feierten sechs Mountainbikerinnen bei dem internationalen Big Air, Slopestyle und Freeride Event Audi Nines mit großem Erfolg ihr Debüt. Die spektakuläre Location – ein ehemaliger Steinbruch – bietet mit ihren unzähligen Möglichkeiten Raum für Kreativität, neue Tricks und somit für die Weiterentwicklung der Fahrer*innen sowie der gesamten Szene. Caroline Buchanan legte hier direkt einen World’s First hin: Der erste gelandete Frontflip einer Frau im Rahmen eines offiziellen Events.

Das legendäre Darkfest, das vor allem für seine World Biggest Jumps bekannt ist, wurde dieses Jahr zum ersten Mal überhaupt um eine ordentliche Portion Female Power bereichert. Die Ladies schmissen sich über den Step-Up Sprung, packten aus der Trickkiste aus und standen den Männern dabei in Sachen Style in nichts nach. Robin Groomes sprang hier den berühmt berüchtigten 90 ft Sprung – also einen Jump mit einem Gap von ca. 30 (!) Metern. Für die female Freestyle Szene eindeutig geschichtsreif.

Das war nicht immer so

Entwicklungen wie diese stellen einen Wendepunkt innerhalb der Women’s Freeride Community dar. Die Ladies haben sich mit ihrer Teilnahme an bis dahin ausschließlich für Männer vorgesehenen internationalen und renommierten Contests und Events erfolgreich ihren Platz innerhalb der internationalen Mountainbike Freeride und Slopestyle Szene erkämpft und sind nicht mehr daraus wegzudenken.

Begriffe wie ‚Kampf‘ oder ‚Eroberung‘ sind hier treffend, denn ein Kampf war es allemal: In der Geschichte des Fahrrads hatten Frauen lange keinen Platz und spielten, wenn überhaupt, nur eine unbedeutende Nebenrolle.

Frauen auf dem Fahrrad galten als unangebracht und als nicht „normal“.

Lange war es nicht selbstverständlich, sich als Frau auf dem Rad fortzubewegen. Auch heute noch wird Frauen in einigen Teilen der Welt das Fahrradfahren verboten, beziehungsweise der Zugang dazu massiv erschwert.

Frauen erobern sich ihren Platz auf dem Sattel

Beschäftigt man sich mit Themen rund um das Radfahren und blickt dabei auf die (Entstehungs-)Geschichte des Fahrrads zurück, zeigt sich schnell: Das Radeln war für Männer bestimmt, Frauen dagegen mussten sich allerlei Hürden stellen und gesellschaftliche Normen brechen, um sich selbst zu ermächtigen und sich ihren Platz auf dem Sattel zu sichern. Das Fahrrad spielt(e) eine entscheidende Rolle in feministischen und emanzipatorischen Bewegungen, es barg und birgt noch immer enormes empowerndes Potential.

So schreibt die US-Amerikanische Frauenrechtlerin Susan B. Anthony bereits im Jahr 1896:

„Ich denke, das Fahrrad hat mehr dazu beigetragen, Frauen zu emanzipieren, als irgendetwas auf der Welt. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich eine Frau auf einem Fahrrad vorbeifahren sehe. Es gibt ihr ein Gefühl der Selbständigkeit und Unabhängigkeit in dem Moment, in dem sie es tut.“

Susan B. Anthony

Um die Wende zum 20. Jahrhundert waren Radfahrer*innen zum einen eine absolute Seltenheit und zum anderen ausschließlich mindestens der mittleren Oberschicht angehörig. Radelnde Frauen mussten mit Anfeindungen und großer Empörung rechnen, ihre soziale und gesellschaftliche Position stand gezwungermaßen auf dem Spiel.

Als Frau auf dem Sattel zu sitzen, galt als unsittlich, ehrlos und  mit der etablierten Gesellschaftsordnung unvereinbar. Unterstützt von pseudowissenschaftlichen Annahmen wurde es gar als Gefahr für die Gebärfähigkeit gelabelt.

Indem sich Frauen den für sie vorgesehenen konventionellen Rollen widersetzten, wurde das Radfahren also zweifelsohne zum politischen Akt. Mit dem Fahrrad brachen Frauen mit tradierten Geschlechtervorstellungen, lehnten sich gegen sie auf und brachten die gesellschaftliche Ordnung durcheinander: Mit der neuartigen und individuellen Mobilität erweiterten sich ihre bisher eng gefassten Grenzen der Freiheit.

Mountainbike Fahrerin

Der Radius der eigenen Umgebung wurde größer, bis dato Unentdecktes konnte entdeckt werden. Neue Möglichkeiten wie beispielsweise auch der Zugang zu Bildungs- oder Arbeitsstätten wurden wortwörtlich erreichbar.

Das Fahrrad wurde zum Symbol der unabhängigen und emanzipierten Frau.

Auf dem Fahrrad um die Welt

Zur Pionierin der weiblichen Fahrradwelt wurde Annie Kopchovsky Londonderry, als sie im Jahr 1894 in Boston aufbrach, um die Welt mit dem Fahrrad zu umrunden und bewies, dass Frauen zu einer solchen Reise imstande sind. Die 24-Jährige verließ dafür zeitweise ihren Mann und ihre drei Kinder.

Während ihrer Reise tauschte sie die für Frauen bestimmte schwere und unpraktische Kleidung gegen Pluderhosen und Männerjacken ein. Die fahrradfahrenden Frauen wehrten sich gegen die unterdrückenden Vorschriften der weiblichen Kleiderordnung: Einengende und bewegungseinschränkende Kleidung wich sogenannten Bloomers (geknöpfte Hosen), wodurch Frauen eine bis dato unvergleichbare Bewegungsfreiheit erreichen konnten.

Fahrradfahren für alle?

Noch immer ist Fahrradfahren keine Selbstverständlichkeit für alle.

Man möchte meinen, dass fahrradfahrende Frauen heute keine Ausnahme mehr darstellen. Nimmt man aber verschiedene Perspektiven unterschiedlicher Gruppen, Schichten, Communities und Individuen in den Blick, zeigt sich etwas anderes: Wir betrachten das Fahrradfahren und auch die Geschichte des Fahrrads aus einer eurozentristischen bzw. westlichen Position.

Das Fahrradfahren war auch historisch schon immer sehr privilegierten Personen vorbehalten. Zum einen kostet es Material und Zeit und  beides muss man sich leisten können. Zum anderen ist es in einigen Ländern der Welt noch immer ein gesellschaftliches Tabu für Mädchen und Frauen oder ihnen sogar per Gesetz verboten. Fahrradfahrende Frauen, beispielsweise im Profibereich, genießen (noch) nicht die gleiche mediale Aufmerksamkeit oder Sichtbarkeit wie ihre männlichen Kollegen.

Fahrradfahrerinnen auf dem Rennrad

Anhand dieses knappen historischen und gesellschaftlichen Einblicks wird deutlich, dass der Status Quo der eingangs beschriebenen Female Freeride Szene eine enorm große Errungenschaft ist, die ohne intensiver Pionier*innenarbeit nicht an dem Punkt von heute wäre.

Weltweit gibt es Initiativen und soziale Projekte, die sich dafür einsetzen, noch mehr Mädchen und Frauen auf‘s Rad zu bringen und ihnen damit ermöglichen, den eigenen Bewegungsradius zu vergrößern, eigenständig mobil zu sein und einfach Spaß am Radeln zu finden.

bravobike Mitarbeiterin Antonia Wodaschik

Autorin

Antonia Wodaschik
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Quellen: